Designtraditionen in Wien
Messen, skizzieren, mit Lineal zeichnen, abzeichnen, umzeichnen und noch einmal messen. Pläne erstellen und fertigen, fertigen, fertigen. Erneut nachmessen, korrigieren und wieder fertigen, fertigen, fertigen. Millimetergenaues Arbeiten, betrachten und wieder … fertigen, fertigen, fertigen.
Es scheint, als handle es sich um den Arbeitsprozess eines Architekten, und doch möchte ich hier von einem Schneider erzählen, der sein Handwerk mit Bedacht und voller Hingabe lebt. Die Rede ist von Herrn Rudolf Niedersüß, Herrenschneidermeister in dritter Generation. Sein Auftreten ist zurückhaltend und überlegt. Er führt den Herrenausstatter Knize, ehemaliger K&K Hoflieferant, am Wiener Graben 13. 1858 wurde das Geschäft von Josef Knize gegründet, Niedersüß übernahm es 1976. Auch wenn man bei Knize keine Baupläne bekommt, kommen ArchitekturkennerInnen auch in diesem Bereich auf ihre Kosten.
Außen und Innen
Die Einrichtung und Ausstattung, wie auch der dezente, edle Eingangsbereich aus schwarzem, schwedischem Granit mit Goldlettern trägt die Idee von Handwerk und durchdachter Gestaltung. Sie entstammt der Feder des Verfechters des Ornamentlosen, Diskreten und stets dem Modernen zugewandten Adolf Loos. Zwischen 1910 bis 1913 verwirklichte er hier seine Idee von einem zeitgemäßen, modernen und funktionalem Geschäft.
Knize – erste Adresse in Sachen Herrenausstattung – ist heute ein Stück lebende Kunst- und Kulturgeschichte inmitten des 21. Jahrhunderts in Wien. Weniger die Fakten führen mich zu dem Schluss, als vielmehr die Atmosphäre und kleinen Details im Geschäft selbst. Es ist der Geruch von feinem Staub und alter Möbelpolitur, die knarrenden Holzböden und schiefen, der Schwerkraft nachgebenden, Türrahmen – hunderte von Geschichten könnten sie uns erzählen! Es sind die Salonsessel aus grünem Samt, die Schlüsselgriffe mit charmanten Gebrauchsspuren, schmucklos gefräste Holztäfelungen – vom vielen Staubwischen glänzend poliert – und nicht zu vergessen, der leicht abgetretene, grasgrüne Teppichboden. Sie alle sind Zeugen zahlreicher wohlhabender KundInnen, die das Vertrauen in die Meisterhände legten, um in wohlgemerkt „ihrer Gesellschaft“ korrekt angezogen zu sein! Niemals auffallen und sich stehts mit feinstem, edelsten Zwirn bedecken, keine Borte und noch weniger Samt und Seide lautet heute wie damals das Kredo. Die Schneiderkunst war Loos so wichtig wie der Raum, den er für sie baute.
Form und Material
Knize vereint beides in Loos’ Sinn – Die Architektur und die gehobene Schneiderei. Denn in ihren Grundhaltungen gleichen sich beide mehr, als man vermuten möchte. Die Arbeit mit Form und Material und die pragmatische Suchen, ein zeitgemäßes und funktionales Ergebnis zu schaffen, formt in beiden Disziplinen einen Körper, eine Hülle, für den Menschen. Loos und Knize kommunizieren und fordern eine Haltung nach einfachen Werten: Sei dir stets bewusst, was du hast und kannst, sei selbstsicher, aber übe dich in unauffälliger und zurückhaltender Manier. „Furcht vor der Öffentlichkeit“ würde Loos dazu sagen!
Knize und Brioni
Die ausgewählte Stammkundenschar bleibt auch heute unter sich. Die Kartei vermehrt sich zum Leidwesen zahlreicher Anfragen leider nicht mehr. Wer nicht zum Kreis der betuchten Kunden für Maßanzüge gehört, findet aber zum Glück eine Auswahl an modernen Modellen im Store. Anzüge aus Italien werden eigens für Knize im Süden gefertigt und als Prêt-à-Porter Mode im Geschäft verkauft. Marken wie Brioni oder Kiton finden Kenner guten Zwirns darunter. Hier wurde bewusst und mit Geschmack gewählt, denn verkauft wird gewiss nicht jede „Stangenware“.
James Bond trägt übrigens auch Brioni-Anzüge und wie wir alle wissen, ist ER der Innbegriff von Stil und Charme. Da kann ich mit ruhigem Gewissen behaupten: Knize besitzt eindeutig die Lizenz zum Maßnehmen und Loos würde auch heute noch seine Freude daran haben!
Literatur: Adolf Loos, die Herrenmode, Wien 1898.