Oscar Wilde machte es vor
Seine Statur ist grazil und hochgewachsen. Feminine und doch markante männliche Gesichtszüge werden von braungoldenem Lockenhaar umrahmt. Der klare Blick ist kühn und überlegen. Zartgliedrige Finger legen sich in seine Taille und umschließen seinen violett-braunen maßgeschneiderten Gehrock mit breitem Revers. Der edelste Satinschal ist um seinen Hals gebunden. Ausgezeichneter Geschmack, perfekte Manieren, immer für ironisch-frivole Konversationen bereit und betont distanziert – der Dandy!
Pose, Styling und Komposition erinnern an ein historisches Porträt eines wohlhabenden Bürgers. Dieses inszenierte Foto aus einem französischen Modemagazin funktioniert, sehnt sich der Betrachter beim Anblick des Motivs vielleicht nach Romantik aus vergangenen Zeiten. Vornehm, jung, unnahbar – das Model gleicht mit Kleidung und Habitus seinen historischen Vorbildern wie George Bryan Brummell oder Oscar Wilde. Was aber passiert mit dem Dandy 2.0, wenn Magazine, Modefirmen und Feuilletons den Begriff derart ausreizen und jeden vornehm, leicht konservativ und ausdrucksstark-überhöht blickenden Mann als solchen beschreiben? Folgen wir dem Dandy – ein Essay-Kommentar zum Thema.
Dandy, who?
Ist er eine überholte Beschreibung verträumter Geschichtenerzähler oder tatsächlich noch zeitgemäß? Wie passt er heute in unser Gesellschaftsbild und gelten die alten Regeln noch? Wie sieht die Forderung Baudelaires, der Dandy müsse sein ganzes Streben darauf richten, ohne Unterbrechung erhaben zu sein, heute aus? „Er müsse leben und schlafen vor einem Spiegel“1, so seine Anmerkung.
Uns stellt sich hier eine Geistes- und Lebenseinstellung dar, in der Selbstkult zur Spitze getrieben wird: der Dandy als Solitär in einer exklusiven Gesellschaft! Er ist eine Spielernatur und frönt dem Müßiggang. Einer täglichen Brotarbeit würde er nie nachgehen. Von ihm sind unterschiedlichste Facetten und Mischformen bekannt, auch bedingt von politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Häufig aber aus gutem Hause kommend, findet der Dandy nur in diesem Umfeld Zuspruch. Hier reflektieren auch seine GesellschaftspartnerInnen den Kodex aus Werten, Regeln und Formen, denn sie alle sind „Eingeweihte“, die sich auf dieser „Bühne“ selbsterklärend verstehen.
Als Individuum ist er materiell und geistig unabhängig. In seinem Umfeld ist er Provokateur, greift aber niemals dieses direkt an. Raffiniert übt er sich in Selbstkontrolle, immer bedacht darauf seine kühle und unnahbare Aura zu wahren. Jede Szenerie beherrscht er durch sein latent konservatives Erscheinungsbild, provoziert aber gleichzeitig durch das Verweigern von Zeitmoden. Das ausgewählte Einfache unterstreicht seine Schönheit. Er leistet sich diese Regelbrüche und gefällt trotzdem. Ohne jedoch die Rückbindung an verpflichtende Konventionen der „besseren Gesellschaft“ würden seine Verstöße, sein überhöhter Geschmack und Stil und seine ethischen und spirituellen Eigenschaften missverstanden, vermutlich übersehen werden und ins Leere verpuffen.
Mit Oscar Wilde setzte sich ein Prozess in Gang, der als das „öffentliche“ Dandytum bezeichnet werden kann. Pointierte Eleganz und Exklusivität stehen forciertem Pomp, Regellosigkeit und penetrantem Zur-Schau-Stellen gegenüber. Baudelaire beschreibte diesen Dandyismus als „das letzte sich Aufbäumen in Zeiten des Verfalls“ 2.
Der Dandy 2.0
Dandy-Chic, Rock-Dandy, Dandy-Look, Dandys im Großstadtdschungel, Dandy Diary oder Neo-Narziss sind heute gebräuchliche Schlagworte und in vielen Gazetten zu finden. TV-Moderatoren, Sternchen, Modeschöpfer und Popstars – sie alle greifen hin und wieder einmal in die Stilkiste der Dandy-Attribute. Jedoch, Originalität, Exklusivität oder gar intellektuellen schöpferischen Ideenreichtum findet man unter ihnen selten. Es geht rein um den Schein. Einzelne dandyhafte Züge können durchaus hilfreich sein, um in der Riege der Geschmacksidole kurzfristig bestehen zu bleiben. Dem Dandy um 1900 würde diese inflationäre Show jedoch fremd sein, war doch sein Bestreben Einzigartigkeit und Eleganz zu kultivieren. Die Schönheit war sein Beruf, unterstrichen von einer stoischen Ruhe, die geistige und materielle Unabhängigkeit demonstrierte.
Der Konsum- und Gesellschaftswandel hatte schlichtweg zur Folge, dass sich der Dandy aus seiner Urform heraus mitentwickeln musste, und, wie S. Sontag schreibt, heute vielen die Chance bietet, auf raffinierte Weise Stil und Geschmack zu kultivieren3. Grob gesprochen aber wich der Anspruch auf Authentizität der reinen Imageclownerie.
Designer, Künstler, Literaten, Manager, Politiker – einer unter ihnen bekommt heute mit Sicherheit den Dandy-Status medial auferlegt. Der vorherrschende Gesellschaftstenor gönnt aber keine Ruhe, so mutiert der Dandy des 21. Jahrhunderts zum von Erfolgsdruck geplagten Arbeitstier. Der propagierte Mode-Kult bleibt an der Oberfläche und ist nichts anderes als ein Effekt. Menschen „vermarkten“ sich, und wo der Schein dominiert, fehlen tiefgreifende Distinktionen. Was hier stattfindet ist ein Selbstbedienungsladen von Dandy-Attitüden: Als Vorbild des Selbstkults wird der Dandy zum Abziehbild in einer vom äußeren Schein diktierten Medienwelt.
Und wie könnte ein neuer, avantgardistischer Dandy aussehen? Günter Erbe schreibt dazu sehr treffend: „Heute sollte man sich fragen, ob es nicht die erste Pflicht ist, auf jede Pose erstmal zu verzichten.“4
Chapeau, wer es schafft!
1 Charles Baudelaire, Mein entblößtes Herz, in: Sämtliche Werke/Briefe. Bd. 6, hrsg. v. Friedhelm Kemp und Claude Pichois, München 1991, S. 224. 2 Charles Baudelaire, Der Dandy, in: Sämtliche Werke/Briefe. Bd. 5, hrsg. v. Friedhelm Kemp und Claude Pichois, S. 244. 3 Susan Sontag, Anmerkungen zu "Camp", in: dies., Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, Reinbek 1968, S. 282. 4 Günter Erbe, Der moderne Dandy, 2004. http://www.bpb.de/apuz/27987/der-moderne-dandy?p=all#footnodeid_2-2 (06. 11. 2016)